Beim heiligen Johannes

Am Abend des 20. März 1393 wurde von der Prager Karlsbrücke der gepeinigte Leib des Johannes von Nepomuk, geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt, in die Moldau gestürzt. Die Wasseroberfläche schloss sich und der Strom eilte weiter, als sei nichts geschehen. Wegen eines Wasserplatschers bleibt der Fluss nicht stehen. Die Mörder machten sich davon. Es schien so, als würde das Wasser auch die Erinnerung an den Generalvikar des Erzbistums Prag, der beim König in Ungnade gefallen war, wegtragen.
Die Geschichte nimmt aber oft eine unerwartete Wendung. Der Körper des Ertrunkenen wurde nach einigen Tagen geborgen und provisorisch bei den Kreuzherren begraben. Gleich nach seinem Ende wurde der zu Tode Gequälte vom Volke verehrt, und auch die Hussitenkriege vermochten ihn nicht aus dem Gedächtnis des Volkes zu löschen. Das Gesuch des Prager Domkapitels, zu Ehren des Johannes von Nepomuk beten zu dürfen, wurde von Rom abgelehnt. Doch die Verehrung dieser Persönlichkeit breitete sich im Volk weiter aus, so dass man in ganz Böhmen Nepomuk-Statuen errichtete und im Prager St.-Veits-Dom sogar ein Altar zu Ehren des Johannes von Nepomuk geweiht wurde.
Nach mehr als drei Jahrhunderten wurde im Jahre 1729 Johannes von Nepomuk heilig gesprochen. Weil er von einer Brücke herabgestürzt worden war, finden wir seine Statuen oft auf Brücken über Bächen und Flüssen, und zwar nicht nur in Böhmen, sondern auch in Süddeutschland.1) Die Volksfrömmigkeit ließ den Brückenheiligen zu einem Landesheiligen werden, zu einem Symbol Böhmens.2) Er wurde vor allem als Schutzpatron gegen Hochwasser und Verleumdung verehrt. Beides gab es in Böhmen immer in genügender Zahl. Vor der neuzeitlichen Epoche des Vandalismus waren Statuen des Brückenheiligen so zahlreich, dass sie den Prager Dichter Rilke bei einer Reise durch Böhmen zu folgendem Reim veranlassten: "...von allen Brücken gucken lauter kleine Nepomuken."

Es kam die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch damals wurden Heilige von den Brücken gestürzt. Einer stand in Rumburg an der Schönborner Straße, dem hl. Sebastian gegenüber. Die Reste der steinernen Figur des hl. Johannes zog man später aus dem Bachbett der Mandau...
Auch inmitten des Lausitzer Gebirges stand seine Statue. Die Örtlichkeit, "St. Johann" genannt, liegt buchstäblich im Schoß der Berge, zwischen dem Friedrichsberg, dem Schöberle und dem Stückeberg bei Oberlichtenwalde. Auf alten Forstkarten führt die Waldabteilung die Bezeichnung "Zum Johanni". Über das Fallewasser wölbt sich hier eine alte steinerne Brücke, an der sechs Wege zusammentreffen. Als ich mit Hilfe alter Karten aus der Vorkriegszeit die Statue suchte - es war im Jahre 1966 - stand sie nicht mehr. Ich suchte einige Male, um wenigstens ihre Reste zu finden, aber vergeblich. Niemand konnte Näheres berichten. Angeblich wurde sie bald nach dem Krieg zerstört, in jener Zeit, wo es zum guten Ton gehörte, alles, was eine deutsche Inschrift hatte oder mit Religion zusammenhing, zu zerstören. Nach jahrelangem Forschen kam eine alte Fotoaufnahme ans Tageslicht, die offenbar kurz vor der Zerstörung des Denkmals angefertigt wurde.3) Darauf war auf einem prismatischen Sockel eine Nepomukstatue zu sehen, die die Größe eines Kinderkörpers hatte.4) Noch viele Jahre lang besuchte ich mit Freunden an Wochenenden dieses waldreiche Tal. Wir campierten in einer romantischen Holzhütte an einem Wasserfall des Fallewassers, das von den Tramps als Rolling River bezeichnet wurde.5) Ich verliebte mich regelrecht in diese Gegend, und mit der Zeit fand ich mich auch mit dem Fehlen der Statue ab...
Abermals nahm der Lauf der Dinge eine unerwartete Richtung. Als ich im Jahre 1995 nach Jahren das beliebte Tal meiner Jugend aufsuchte, war ich verblüfft. An der Kreuzung stand der Sandsteinsockel, der ehemals als Untersatz der Nepomukstatue gedient hatte. Er war zwar arg beschädigt, aber die Inschrift mit dem Namen des Stifters war einwandfrei zu lesen: "Errichtet im Jahre 1846 von Joseph Walter, Oberförster." Der Sockel lag all die Jahre im Waldesdickicht umgestürzt und teilweise mit Boden bedeckt, so dass ich ihn übersehen hatte. Einige Touristen aus Warnsdorf entdeckten ihn und entschlossen sich, ihn aufzurichten. Bei den Erdarbeiten, die archäologischen Grabungen glichen, wurde auch das Fundament entdeckt. Der Sockel war so schwer, dass die Touristen nicht imstande waren, ihn mit eigenen Kräften zu heben. Da kamen Pilzsucher des Weges, die gleich hilfreich mit Hand anlegten, so dass der Sockel an seinem jetzigen Standort landete. Der Untersatz inmitten der Waldeinöde provozierte aber durch seine Verlassenheit. Schließlich fanden sich Geldmittel6) und Bildhauer7), die für den Materialpreis eine neue Nepomukstatue herstellten. Als die Statue fertig war, wurde nach einem Mäzen gesucht, der sie an ihren Standort bringen sollte. Auch der wurde im Handumdrehen gefunden.8)
Wenn Sie mal des Weges von Neuhütte nach Oberlichtenwalde wandern und beim hl. Nepomuk vorbeigehen, grüßen Sie ihn herzlich. Oder fällt Ihnen etwas Besseres ein,9) als so einer ganzen Reihe von opferwilligen Menschen zu danken, an deren Anfang der hl. Nepomuk steht?

Anmerkungen und Literatur

  1. In Böhmen waren dem hl. Johann an die dreihundert Kirchen und Kapellen geweiht. Seine Brückenstatuen im In - und Ausland sind unzählbar (Katolické noviny Nr. 51-52/1988).
  2. Auch die Volkssprache bediente sich des Heiligen. Ich erinnere mich, dass wir (um 1980) beim tschechischen Militär wegen schlampigen Stehens (in der Position "Stillgestanden") angebrüllt wurden: "Du stehst da wie der Brückenheilige!"
  3. Die Fotografie, die der Pfadfinder Bezchleba aus Niedergrund nach 1950 anfertigte, zeigt die Statue schon mit fehlendem Kopf.
  4. Die viel zu kleine Statue im Verhältnis zum großen Sockel, der in dieser Form üblicherweise nur für Kreuze verwendet wurde, zeigt, dass die Statue früher wahrscheinlich direkt auf der Brücke stand, wie es auch dem damaligen Brauch entsprach. Der mit 1846 datierte Sockel wurde dann für die Statue erst nach ihrer Übersiedlung an den neuen Standort verwendet. An der gewölbten Brücke kann man deutlich den älteren unteren Teil von dem neueren Anbau unterscheiden. Dieser erfolgte bei der Hebung der Straße, möglicherweise im Jahre 1840; diese Jahreszahl finden wir nämlich an der Brückenmauer. Zuletzt wurde die Brücke im Jahre 2000 ausgebessert. Ein Beleg für das Bestehen der Statue vor 1846 ist aber nicht gefunden worden. Dass sie nicht in der Katastralkarte von 1843 eingezeichnet ist, muss nichts bedeuten. Es war nicht üblich, derartige Flurdenkmäler in diese Karten einzutragen. (1:2 880, Oberlichtenwalde samt Ortschaft Niederlichtenwalde und Jägerdörfel in Böhmen, Bunzlauer Kreis, Bez. Reichstadt.)
  5. Der Bach entspringt in den Sümpfen unterhalb des Dreieckers. Solange hier die angestammte Bevölkerung wohnte, wurden die drei Abschnitte seines Wasserlaufes folgendermaßen genannt: Von der Quelle bis zu unserer Brücke, die die Mittlere Brücke hieß, war es der Etschbach, es folgte das Falle(r)wasser und weiter unten war es der Hammerbach, nach der Einschicht Hammer genannt, wo er die Hammermühle antrieb. Nach dem letzten Krieg wurde der ganze Bach recht einfältig Lužná genannt. Auf den neuen Wanderkarten wird er wiederum als Hamerský potok, also Hammerbach, bezeichnet, wobei der Abschnitt von der Mittleren Brücke zur Talsperre mit Peřejky bezeichnet wird, was dem deutschen Fallewasser nahekommt.
  6. Diese besorgte Amy Arends, eine Amerikanerin, aus Fonds der Friedenstrupps. Sie war in der Verwaltung des Landschaftsschutzgebietes in Tetschen in den Jahren 1994 bis 1997 tätig und unterstützte auch andere Projekte zum Erhalt unserer Landschaft.
  7. Die Statue entstand in der Werkstatt von Ladislav Šobr und Václav Snížek, zweier Bildhauer aus Říčany bei Prag.
  8. Das Aufstellen der Statue besorgte PhDr. Václav Růžička aus Röhrsdorf. Es erfolgte am Dienstagnachmittag, dem 19. November 1996. Die Statue ist mit dem Untersatz durch einen Bolzen aus Kupfer verbunden. Gut, dass die Statue auf diese Weise befestigt war - im Jahre 2000 misslang dadurch ein Versuch, sie zu stehlen.
  9. Streicht bitte die Statue auf keinen Fall mit Farbe an, das natürliche steinerne Aussehen steht ihr viel besser. Arbeiten an der Statue sind den Denkmalschützern vorbehalten.